autoritärer und liberaler Traum
• Philipp Blom - 'Kultur' als fremdenfeindlicher Kampfbegriff (Last Update: 09.12.2015)
Charakteristisch für die gegenwärtige Entwicklung sei, so Blom, die Aufspaltung
zwischen nostalgisch-autoritären Träumen und liberalen
Träume. Rechts und links verlieren an Bedeutung. Standards, die
bisher oft von Sozialisten erkämpft wurden, werden heute von
Nationalisten verteidigt.
Menschenrechte
sind ein Traum und ein zentrales Narrativ der Moderne. Ein gerade 300
Jahre alter, schöner Traum, der auch wieder verschwinden kann.
Narrative, kollektive Erzählungen, prägen das Handeln von
Gesellschaften.
Man
kann sich durchaus vorstellen, dass in einer naheliegenden Zukunft
ein defensives, weißes Kerneuropa neben einem russischen
Großreich und einem islamischen Kalifat besteht und dass allen
dreien gemeinsam ist, dass sie auf unterschiedliche Weise autoritäre
Werte teilen und ihre eigene Kultur für essentiell und ewig
halten und sich gegen kulturelle Außeneinflüsse und
Veränderung abkapseln und uni sono behaupten:„Wir sind
etwas anderes!“.
Liberalität
besteht im Wesentlichen in der Idee der produktiven Veränderbarkeit
der eigenen Gesellschaft. Diese Idee verliert an Überzeugungskraft,
wenn zunehmend weniger Menschen konkret an den Chancen der Freiheit
partizipieren.
Es
kommt dazu, dass es bei uns so gut wie keine nicht ökonomisierten
Identitäten und keine Möglichkeiten für radikale
Gesten gibt.
Es
ändert sich grundlegend, worauf gehofft wird. Die Möglichkeit
von Transzendenz, die Möglichkeit grundlegender Veränderung
der Wirklichkeit, wie sie z.B. die Idee des Friedens ausdrückt,
wird aufgegeben. Höchster Wunsch ist der Erhalt des Status Quo.
Wir
haben, so Blom, über der Tatsache, dass wir Konsumenten sind,
vergessen, dass wir Bürger sind. Und wir vergessen, dass wir
Gesellschaften sind über der Tatsache, dass wir Märkte
sind.
Die verängstigte und aggressive Unwilligkeit zu teilen begründet
sich mit dem Verweis auf von uns erbrachte Vorleistungen. Aber wir
haben, so leistungsorientiert wir selbst sind, das meiste geerbt und
der dritten Welt die schlechte Startposition überlassen, die wir
selbst im 19. Jahrhundert noch hatten.
Barbara Bleisch im Gespräch mit Philipp Blom in Sternstunde Philosophie (SRF Kultur) vom 6.12.2015.
Wie entsteht eine gemeinsame Identität. Identität ist die
Geschichte, die wir uns über uns selbst erzählen. Daher
müssen wir selbst uns fragen: Was für eine Gesellschaft
wollen wir sein? Bestehen wir auf Selbstbestimmung, bei der von außen
niemand mitreden soll oder lassen wir Offenheit zu?
Man kann, so Blom, Menschen nur überzeugen, wenn man schon sehr
viele Überzeugungen mit ihnen teilt. Die anderen kann man nur
bewegen und nicht überzeugen.
Offenbar ist 'Kultur' im autoritären Traum als Kampfbegriff an die
Stelle des Rassebegriffs getreten, wenn es darum geht, Menschen als
nicht integrierbar zu deklarieren.
---
Es sei hingewiesen auf das frühere Gespräch mit Philipp Blom zum Thema
Der taumelnde Kontinent Europa 1900-1914.
Blom sricht sehr plastisch über Facetten des Lebens in einer Epoche gesellschaftlichen Umbruchs,
über neue Freiheiten und Ängste.
Ihr Kommentar
Falls Sie Stellung nehmen, etwas ergänzen oder korrigieren möchten, können sie das hier gerne tun. Wir freuen uns über Ihre Nachricht.